Kind und Medienkonsum - mein Widerspruch
Mein Kind konsumiert Medien und spielt online Spiele mit seinen Freunden. Muss dazu einiges sagen. Yakari und Ninjago waren seine ersten Kumpels auf der Toniebox, weil er im Kindergarten nicht wirklich Anschluss gefunden hat und es ihm auch zu unruhig war, ich leider nicht lange zu Haus bleiben konnte. Habe die Inhalte altersgerecht gestaffelt, seit klar ist, dass er anders ist, erlaube ich ihm viel mehr.
Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht, der mir heute noch leid tut. Seit er ein kleines Baby war, bestand unser Abendritual darin, dass ich ihm mindestens eine Stunde lang vorgelesen habe. Er besitzt mehr Bücher als ich. Wir haben gelacht, gesungen, manchmal dachte ich mir Geschichten aus, er hat es geliebt, sein Wortschatz ist phänomenal für einen Neunjährigen. Als er dann in die Schule kam, sagte mir wer, den ich sehr ernst nahm, er müsse ab jetzt selbst lesen, damit er übt, ich solle ihm doch (um Himmels willen!) nicht mehr vorlesen, und ich Vollpfosten hab das dann umgesetzt. Habe es eingestellt, habe aufgehört, ihm vorzulesen.
Was für ein Fehler! Vor kurzem, zweieinhalb Jahre später, habe ich wieder damit angefangen. Es bricht mein Herz, wenn ich daran denke, was er und ich deswegen alles versäumt haben. Der Knopf ist zu müde, abends noch selbst zu lesen, seine Tage sind und waren lang, er kann tagsüber lesen, wann immer er mag, oder muss, aber vor dem Einschlafen war es unser Ding. Nicht zuletzt setzt die Stimme der Mutter in Körper des Kindes Oxytocin frei, das ist ja bekanntlich nichts Schlechtes.
Und jetzt sind wir bei Inger Christensen, high level, die er sehr verehrt, aber ach, was wir hätten uns erarbeiten können in den letzten zweieinhalb Jahren, mir blutet das Herz. Ich hätte ihm bereits viele der Großen der Weltliteratur nahe bringen können, und werde das jetzt, so gut es geht, nachholen.
Im Tv und im Netz kursieren katastrophale Inhalte. Das ist mir durchaus bewusst, persönlich konsumiere ich nur mehr eine einzige Tageszeitung, weil ich bei einem Abo schmarotzen kann, die ganzen Gratisformate kommen sowieso nicht in Frage, und die andere große österreichische Tageszeitung, die ich mir leisten könnte, ist mir zu materialistisch und abgehoben. Aber ich lese nicht viel über das aktuelle Geschehen in der Welt, man kommt dem erstens eh kaum aus, und seit Fukushima bin ich aus der Erregunsschleife ausgestiegen. Die Welt wurschtelt an einem großen Abgrund herum, der Krieg da, der andere Krieg dort, der Klimawandel, Unfälle und Terror, Naturkatastrophen, Verbrechen, Corona, Teuerung, die Superreichen, die irren Herrscher überall, die Massen an Menschen, jede Woche ein neues Feinbild, und im Kontrast dazu die Leute, mit denen ich, mehr oder weniger freiwillig meinen Alltag verbringe. Mein geliebter Sohn, mein Ex-Partner, meine Freunde und meine Familie, meine Kollegen und die Menschen im Grätzel, die Fremden, die Bekannten, und, in der Sehnsucht, der Angebetete. Bei ihnen allen sehe ich im Kleinen, was die Welt im Großen umtreibt, und versuche, das Beste für alle Beteiligten zu machen, mich eingeschlossen, woran ich oft scheitere, manchmal glücklich zu Bett gehen kann, manchmal nächtelang schlaflos daliege, weil es mir einfach nicht und nicht gelingen will. Meine Kapazität ist damit voll, ich habe keine weiteren geistigen Speicher, um mich mit Elend am anderen Ende der Welt zu beschäftigen, und tue es dennoch oft, wenn ich mein digitales Schmarotzertum aufschlage und ein, zwei Artikel lese. Das kritische Umfeld in meinem Leben grenzt mich apodiktisch aus, wenn ich über tagesaktuelles nicht ausreichend Bescheid weiß, ich atme das weg, und werfe den Staubsauger an. Eine muss es machen. Und ich mache das, weil denken kann ich abends besser, da steig meine Konzentration an. Egal wie wild die Tage waren, mit alle den Anforderungen, die ich laufend so erfülle. Und ja, ich schaffe die gut, das Kind geht mittlerweile mit zwei gesunden Jausenboxen rechtzeitig zur Schule, alles ist ausgefüllt und unterschrieben, ich teile Arbeiten zu und ein, atme Angriffe weg, die von jenen ausgehen, die wohl zu viel der Katastrophen konsumieren, fokussiere auf das Wesentliche und wenn ich dann heimgehe, noch die Wohnung ordentlich gemacht habe und Essen am Tisch steht, lasse ich das Kind seine Medien konsumieren. Weil ich weiß, wie das ist, wenn keiner da ist. Der Ex wollte kein zweites Kind, mein Sohn ist alleine daheim meistens, weil jemand Fremder, wie sehr er auch zum guten Freund geworden sein mag, kostet Energie, die er nach einem Schultag von 8 bis 16 Uhr meist, einfach nicht mehr hat. Zum Fussballverein mag er nicht mehr gehen, das war nie seines und wird es nicht werden, zum Fahrradfahren und so ist es eigentlich zu gefährlich in der Stadt, die so von Autos verseucht ist, dass man manchmal gar nicht mehr atmen kann. Wobei er oft Roller oder Skateboard fahren geht mit seinem Freund, oder einen der drei musischen Nachmittagstermine besucht, die er pro Woche hat. Er tanzt, singt und lernt (vermutlich) Gitarre, letzteres wird demnächste geschnuppert.
Ich wünschte ihm das freie Spiel mit einem Schippel Kinder auf einer Gstettn so sehr, halte diese Idee aber für eine, fast wahnhafte und rückwärtsgerichtete Illusion. Er zockt mit seinem Freund, den er sei 3 Jahren kennt, der einiges älter ist als er und auch so supergescheit, ein Spiel wo sie handeln, kämpfen und bauen, sie singen sich manchmal Lieder vor und es fallen Schimpfworte, Kochrezepte und Witze. Streit und Versöhnungen sind an der Tagesordnung. Andere Jungs wehen heran, verschwinden wieder, am Ende sind es meist die zwei, die zocken. Gerade halt mal. Ich freu mich, der andere ist ein lieber Kerl.
Schenkt mir eine Stadt ohne Autos, mit vielen Parks und kleinen Geschäften, und ich ändere meine Meinung und die Kinder werden eine gute Zeit haben. Meine Bande und ich, wir waren am alten Sportplatz unterwegs, bis sich einer, ich war nicht dabei, beim Besuch im neuen Haus am Land der anderen ein Auge ausgestochen hat, das ganze vor Gericht endete, und die Bande so schnell Geschichte war, dass ich nicht bis drei zählen konnte.
Ich hatte haptische Erfahrungen, und seelische, mit meinem Klavier, das ich so geliebt habe, heimkommen, Schultasche ins Eck schmeissen und mal drei Stunden nur improvisieren, das war mein Leben, meine Katze konnte zu mir auf das Stockbett hüpfen, aus dem Stand, dann fiel sie vom Baum und war tot. Auf eine Autotüre, hat man mir erzählt, die Rippen hätten sich in ihre Lunge gebohrt, hat man mir damals erzählt, sie war schnell tot. Ich war circa elf Jahre alt und hatte 3 Jahre lang nach eine Katze gebettelt, dann war sie da, ein halbes Jahr, ich liebte sie mehr als mein Klavier, nur, das war dann auch kaputt und ein Neues kam nicht mehr.
Was kam, war das Mobbing in der Unterstufe. Von einem Tag auf den andern haben fast alle aus der reinen Mädchenklasse die Kommunikation mit mir eingestellt. Für drei ganze Jahre lang. Vielleicht weil ich ein Theaterstück inszeniert hatte, über Krieg und Umweltverschmutzung. Ich weiß es nicht, Schminke und Jungs haben mich noch nicht interessiert, ich war anders, aber daheim war kein Safespace, wo ich hätte hingehen können, erzählen, dass es schlimm ist. Das hat keinen interessiert, sie waren mit sich beschäftigt, mit dem Überleben, ihre Eltern waren vom Krieg gezeichnet, wie irgendwie fast alle, sie haben gearbeitet, um zu vergessen. Wie alleine sie gewesen sind, dass ihnen auch schon nie wer zugehört hatte. Sie herumgeschubst worden waren, keiner je gefragt hatte, was sie denn wollen würden.
Spiel und Spannung? Zeit ja, Möglichkeiten nein.
Aber das freie Spiel ist ja so toll. Ich habe mit O tausend und eine Welt aus Kapplasteinen gebaut, mit Playmobil Leuten und Zeug bevölkert, wir hatten nur nie genug Zeit, denn wie das Amen im Gebet kam der Ex herein, wenn es witzig wurde, O und ich mit dem Kichern nicht mehr hinterherkamen, und hat gestört, weil er neidisch war, weil er nicht spielen kann, er kann das nicht, mit ihm hat wohl nie wer einfach so gespielt, als er ein Kind war. Frei und mit offenem Ende, ins Blaue hinein.
Mein Kind hat seinen Safe space in sich, weil ich ihm erlaube, Medien zu konsumieren, und weil er mir alles erzählt, was ihn belastet. Wenn er sieht, wie eine Hochschaubahn abstürzt, ruft er nach mir, komm dir das anschauen, Mama, oder er ruft mich mit meinem Vornamen, wie er das seit einiger Zeit macht, weil er Respekt hat vor mir, weil ich auch ein Modell bin für ihn, eine ambivalente Person, eben nicht nur die liebe Mama, sondern die K, die schimpft, die Nerven verliert, weint und zetert, wenn es ihr zu viel wird.
Er bespricht es mit mir, wenn er gestresst ist, oder Angst hat. Ich konnte ihn vor dem einsetzenden Mobbing schützen. Ich habe seinen Vater verlassen, weil er ihn angeschrien hat. Er sagt mir, was ihn belastet und auch wenn er Mist gebaut hat. Und in der Welt gibt es doch tausend Gründe, sich zu Sorgen gerade. 'Mama', sagt er um halb acht in der früh, als er in der Straßenbahn auf dem Weg in die Schule auf einen Screen starrt 'Warum brennt die Stadt dort?' Ich seufze. Am Rechner drückt er weiter, wenn es nicht passt, er bestimmt, was er sieht. Das machen wir ja auch, wir Erwachsene. Er ist ja kein Trottel, der sich unaushaltbaren Anblicken ausliefert. Was denken die Menschen von ihren Kindern?
Spiele am Handy sind mäßig interessant, einmal erlaubt, vier Stunden gezockt, Gameplay durchschaut, Langweile. Selbst Fortni$e ist ihm fad geworden. Immer dasselbe, die beschäftigen so viele Psychologen zur Förderung der Abhängigkeit, anscheinend, dass die Gescheiten das schnell durchschauen und vielleicht gegen Manipulation immun werden, wartet ab.
Ich selbst habe das Fernsehen eingestellt, völlig. Aber habe einige Serien gebinged in meinem Leben, das hat mir auch Erkenntnisse verschafft, bis die Storylines sich einfach irgendwann wiederholt haben, und ich das System 'Geschichte' intus hatte. Habe auch tausende Bücher gelesen, und selten noch rockt mich eines wirklich. Romane sind für mich auserzählt, ich brauche sie nicht mehr. Grundbedürfnisse der Menschen, wie Essen, Trinken, wohnen, Liebe, Anerkennung, sinnstiftende Tätigkeiten, nicht ausgegrenzt sein, eine intakte Umwelt, das Lachen und ein bisschen Hoffnung. Das ist alles absehbar, und wenn man die Zutaten kennt, probiert man irgendwann lieber selbst an der für einen passenden Mischkulanz. Ich erlaube dem O Tv und das Zocken, damit er schneller rauskommt, in die Erkenntnis. Rein ins Leben. Er ist nicht sehr kompromissfähig, weil er einen immens starken Willen hat, weil er verdammt nochmal ganz genau weiß, was gut für ihn ist, und was nicht. Er weiß, was er braucht, wo er hin will, was ihn interessiert, was er kann, was er nicht kann, was er lernen will und was ihm am Arsch vorbei geht. Und darf eh fast 80 Prozent der Zeit nicht machen, was ihn interessiert, was er möchte, sondern muss Anforderungen erfüllen. Er ist neugierig und lernt gerne. Auch aus dem Netz. Darf mich beschimpfen, weil ich sein Safe Mensch bin, wo er alles rauslassen kann, was von anderswo auf ihn einströmt oder eingeströmt ist. Und - ich war nicht diejenige, die mit Schreien und Fluchen angefangen hat, als wir noch zu dritt gelebt haben. Wirklich nicht, bin ein ruhiger Mensch, mit viel zu viel Empathie. Was ich brauche, ist Zeit mit mir alleine, sonst werden meine Akkus leer. Die laden sich nur auf, wenn ich alleine bin. Ist halt so. Aber, andere tragen Brille, ich trage Loops. Da kann ich, unter ärgsten Bedingungen, ganz bei mir bleiben. War ein Lernprozess. Wäre ich Zeitreisende, ich würde Vincent einen Lebensvorrat an diesen kleinen Dingern bringen, wir hätten einige Meisterwerke mehr heute. Und er wäre glücklich gewesen.
Aber ja, die Medien sind schlecht, hahaha, ich bin richtig grantig über dieses Video. Und was es mit den Menschen macht, die so unsicher sind, wie ich einmal war. Wo ist die potentielle Oma oder Tante, die mit am Frühstückstisch sitzt und von früher erzählt? Sie fliegt nach Dschibuti, kommt er im Februar wieder, bis dahin: 'Mach dein Ding, meine Tochter, du bist doch eine Powerfrau. Aber lass das Kind bitte nicht Toniebox hören, das ist schlecht für seine Entwicklung! Ich zahle Dir von meiner tollen Pension gerne den Pekipkurs, oder so, baba, bussi. Bussi.'
Und Mobbing? Dass es in der kleinsten sozialen Einheit anfängt, dass man die einen Kinder lieber hat, als die anderen, die vielleicht weniger zielstrebig, weniger diplomatisch, etwas eigen sind, darüber reden wir nicht, gell, das wagt ja keiner von euch zu denken. Das ist ja die Schuld von dem Kind, das ist halt anders, das sieht vielleicht zu viel, spürt mehr, braucht ab und zu vielleicht einfach seine Ruhe? Alleine?
Motivation aus sich selbst gebären aber seinem Umfeld ausgeliefert sein, wieder so ein Widerspruch. Ich muss meine Klasse ertragen, meinen Sportverein, obwohl dort vielleicht eine Gruppendynamik herrscht, die mich unterbuttert, weil ich etwas kann, auf das die anderen neidisch sind, oder weil meine Haare zu lockig oder zu gerade sind? Ich muss dort bleiben und aushalten, mich selbst wahrzunehmen, soll also meine Rolle hinnehmen, als Underdog und dadurch Sozialverhalten lernen? Ich soll die Hände falten, die Goschn halten, mich unterwerfen, gell? Statt einfach die Umgebung zu verlassen, mir Leute zu suchen, die mich ordentlich behandeln, wertschätzen, wenn nicht gar meine Gegenwart als Bereicherung empfinden? Uiuiuiui, ich glaub es wird immer ärger.
Aber na klar, das Internet ist schuld. Der Medienkonsum ist die Ursache. Und jetzt noch ein Plädoyer zum Schluss: Wenn man das Gefühl hat, sich dafür maßregeln zu müssen, wenn man eine viertel Stunde nichts Produktives getan hat, sollte man an die Menschen der Steinzeit oder Nietzsche denken, die womöglich nur 4 Stunden pro Tag damit verbringen mussten, sich um Essen und Kleidung zu sorgen, den Rest der Zeit hatten sie Frei 11!!1 OMG. Sie haben dann das Feuer gebändigt, das Rad erfunden und begonnen Metall zu schmelzen und sesshaft zu werden, oder auf Frauen zu schimpfen und Philosophie zu etablieren. Weil sie vielleicht Zeit hatten, nachzudenken? Also meine lieben Leser, wer es bis hierhin geschafft hat. Chapeau, eigentlich dürften Sie über diese Aufmerksamkeitsspanne ja gar nicht mehr verfügen. Ein Wunder ist geschehen. Vielleicht geschieht noch eines und sie denken nach, ob sie in meinem Text einen Funken gefunden haben, der ihnen hilft, ihre Kinder als das zu erkennen, was sie sind: Die allerbeste Generation, die wir bis hierhin je hatten. Weil sie verbunden sind. Weil sie Bescheid wissen, weil sie immer gescheiter werden. Weil sie stur sind und sich nicht abbringen lassen, davon, dass sie selbst auch wissen, was ihnen gut tut. We try to teach our children all about life, while our children teach us, what life is all about. Vielleicht geht es gar nicht darum, höher weiter schneller, konsumieren, konsumieren, konsumieren, vielleicht geht es darum, sich zu finden, sich zu genügen, auch mal im Zimmer zu hocken, sich einen Heimtrainer zu kaufen und ein paar Gewichte, wenn draußen die Luft immer schlechter wird, wegen all dem Reifenabrieb, Yoga zu machen oder mit Freunden zu zocken, sich virtuell zu bilden anstatt um die Welt zu fliegen, damit vielleicht für ihre Kinder einst noch ein Planet da ist, den man dann bereisen wird können. GRRRR Pfauch.
Ps. Das Video, auf das dieser Widerspruch erfolgt ist, verlinke ich nicht, sie können sich den Inhalt, glaub ich, auch so vorstellen.
PPs. Und da ich alte Garde bin, freue ich mich sehr über potentiellen Widerspruch :D
PPPs. Bitte um verzeihung für Tippfehler, ich bin einfach bereits zu müde heute, bessere das eventuell morgen aus.