Dazwischen
Dienstag, 14. Oktober 2025

Eine Reise und ein Tonfall

Der Jammertonfall der Wiener, auf Leidend trainiert, weswegen man Beleidigungen und Spitzen nicht einfach angemessen in die Schranken weisen kann. Das Kindchen-Schema wird schlagend, quasi.

Dazu ein mehr oder weniger ausgeprägter Charme, dem das Untergriffige lieb, das Düstere heilig sind und eine, von Natur aus fast allen Menschen gemeine große Egozentrik und das Wissen um die Geschichte als Mitläufer ohne Zivilcourage, mit viel zu viel eigennütziger Obrigkeitshörigkeit, pfeift einem schnell wie der unangenehme Föhn entgegen, wenn man zurück von wo-auch-immer-man-war ist.

Die daraus entstandene Mischung aus mangelnder Demut dem Leben gegenüber und einer gewissen Opferrolle, die einen bequem durchs Leben bringt, weil eh immer die Anderen schuld sind, macht diesen Flecken Erde, zusammen mit einem ausgebildeten Gespür für Stil und Ordnung, so besonders. Ich liebe Wien sehr, und seine Wiener, wo auch immer sie geboren sein mögen.

Manche der Zugezogenen übernehmen diese oben beschriebene Masche schnell, dass sollte im Sinne der Touristen gerne beibehalten werden, macht es doch die Wiener so putzig, irgendwie. Für die Zukunft der Welt und Wien im Speziellen ist es jedoch nicht die zu wählende Form, hier wären konzise, offenen Kommunikation, die zur eigenen Verantwortung stehen kann, dazu viel Tatendrang und Mut zur Veränderung auch gegen die eigene Bequemlichkeit stehend weitaus angebrachter.

Gestern habe ich mit dem Sohn das Mitläufertum besprochen, weil ich selbst meine Nerven am Frankfurter Bahnhof verloren hatte, ihm davon erzählt habe und er das ziemlich schäbig fand. Frau Novemberregen war so nett mit Tipps zu geben, da das Kind beim Downhill gestürzt war und eine Gehirnerschütterung mit Cut über dem Auge aufgefasst hat, weswegen ich nach Hause eilte, das war, im Nachhinein gesehen, wohl nicht ganz nötig, weil er weder geschockt noch verwirrt nur davon redet seither, wie 'geil' das Downhill ist und dass er das unbedingt mit Helm mit Visier und Brille sofort wieder machen möchte, aber so ist das als Mutter, man fährt heim, weil man heim fahren will und darum passt das eh, außerdem stimmten Frau Novemberregens Beobachtungen akkurat, zehn Sekunden nach Ausstieg kam der erste junge Mann und wollte Kleingeld. Ich gab ihm wenig, weil ich keine hatte, später kaufte ich ein belegtes Brot, dann verteilte ich an, glaub ich die nächsten drei Menschen, die fragten, mein Wechselgeld. Auch der Tipp mit dem Wirtshaus war super, ich kehrte ein, trank einen Johannisbeersaft gespritzt und lernte so in der Folge auch die Toilette des Bahnhofs kennen, wo es zu einer skurrilen Situation kam, eine Frau sneakte mit mir durch die Bezahlschranke, sie hatte kein Geld mit, stellte sich später heraus, die Sirene ging los, sie sagte zu mir 'can i come with you to the toilet? was ich entschieden ablehnen musste, 'No, you can't come to the toilet with me, no way.' Sie winkte ab und meinte, das wäre eh nicht ihr Anliegen, ich solle nur bitte warten, damit sie mit mir wieder aus der Anlage heraus gehen könne. So soll es sein, wir plauderten beim Rausgehen noch kurz über die Verspätung des Zuges und ihre Unwissenheit über die Tatsache, dass das Klo nur gegen Bezahlung zu betreten sei, und gingen getrennter Wege.

Im Hotel hatte ich auch schon so eine wilde Situation gehabt, ich lache immer noch, es war so: ich wollte früher abreisen, kurz vor 21 Uhr ist mein Zug gegangen, aber die Rezeption war nicht mehr besetzt und telefonisch erreichte ich, vorerst, auch niemanden. Da sah ich eine Dame vor der Türe rauchen, ich ging in ihre Richtung zur Seitentüre, da kam sie auch schon herein und erschrak sehr. Ich entschuldigte mich, und fragte sie, ob sie hier her gehören würde, was sie bejahte. Dann erklärte ich ihr die Situation und ob ich ihr den Schlüssel übergeben könne da ich früher abzureisen gedachte, weil mein Sohne einen kleinen Unfall gehabt hatte, und sie meinte 'Das muss ich mit der Frau XY meiner Chefin besprechen' und verschwand im Gang. Zwei Minuten später kam sie mit einer Damen mittleren Alters zurück, die erschrocken meinte, das mit der Abreise sei nicht möglich. Ich so 'Aber ich muss nach Hause, den Zug hab ich gebucht, mein Kind..!?' 'Wir können jetzt nicht fahren!' Sagte sie, 'ich bin fix und alle!' 'Wie, ich darf nicht abreisen? Aber?' die Frau, die ich zuerst gefragt hatte, erkannte das Missverständnis in dem Moment, sagte, zu mir gewandt 'Sie sind auch Gast hier?' Dann war es klar, wir lachten, ein bisschen, aber waren froh dass wir uns nur falsch verstanden hatten, die Frau XY bot mir sogar netterweise an, mich zum Bahnhof zu führen, mit dem Auto, was ich besser angenommen hätte, mehr dazu später, doch nicht tat, weil sie ja von stehend ko gesprochen hatte. Wir wünschten uns gegenseitig alles Gute und verschwanden in unseren Zimmern.

Dort rief ich drei Taxiunternehmen durch, die ich, schnell schnell gegoogelt hatte, bestellte eines zum Hotel und telefonierte noch eine Weile mit H. Der Gedanke, die offizielle Nummer des Hotels zu wählen kam mir, ich erreichte wen, besprach das mit dem Schlüssel und kurz vor der vermeintlichen Ankunft des Taxis legte ich diesen zur Rezeption mit einem kleinen Zettel und verlies das Gebäude. Ich wäre nicht wieder hineingekommen, es war ein Point of no Return erreicht, meine Heimreise musste stattfinden.

Der Bahnhof ist zu Fuss exakt 26 Minuten entfernt, das weiß ich schon vom Hinweg. Das Taxi kam nicht. Ich wartete, es kam aber nicht. Rief an. Der Typ meinte 'Taxi kommt gleich' es kam aber nicht. Die Uhr zeiget 20 Minuten vor Abfahrt des Zuges. Von einem Taxi keine Spur. Ich sah nervös auf mein Telefon, da läutete es. Der Typ 'Wo stehen Sie??' 'Ecke diese, Ecke jene Gasse!' 'Hä?' 'Beim ... Hotel!' 'In ..?' 'Nein! In ...!' Der Typ stand mit seinem Taxi im Nachbarort und machte was? Legte auf. Ich stand da, die Uhr zeigte 19 Minuten vor Abreise, Google Maps sagte 26 Minuten zu Fuss, ich lief los.

Erst mal in die falsche Richtung, dann richtig. Es war spannend, hatte einen kleinen Rollkoffer und einen schweren Rucksack, der aber auch Normalgröße hat. Mir fiel, zum Glück, eine alte Pfadfinderidee ein. Ich rannte für zwei Minuten, dann ging ich zwei Minuten um zu Puste zu kommen, dann wieder zwei Minuten rennen, maps lieferte dazu die Zeit, die 26 Minuten wurden zu 25, zu 23, es tat sich eindeutig was. Dass mich dann der Bus zum Bahnhof über den Zebrastreifen lies, checkte ich erst, als ich ihm von hinten auf die Anzeigetafel sah, aber ich grämte mich nicht weiter, das hätte mich von meinem Lauf/Geh Rhythmus abgehalten.

Den Zug hab ich, völlig durchgeschwitzt, gerade so erreicht, kurz bevor ich einstieg kam dann ein DB Hinweis 'Ihre Reise ist ausgefallen, wählen Sie Alternativen' ich so, hmmm, checke die Alternativen, bin unschlüssig, nichts klingt irgendwie besser, und beschliesse, die erste Etappe der Reise nach Frankfurt einfach wie geplant anzutreten, das war der Zug mit den 26 Minuten Rest und der fährt da schon ein, während ich noch nachdenke, und also zusteige. In Wien war ich dann pünktlich auf die Minute, bin in St. Pölten noch spontan umgestiegen in den City Jet, was auch eine gute Entscheidung war, und obwohl der Ersatz-ICE in Frankfurt um 02:00h statt 01:19 losgefahren war, erwischte ich den Anschluss in München, insofern war alles gut.

Das Kind daheim total glücklich, das Wochenende mit seinem Papa war das schönste bis her, das Downhill wird sein neues Lieblingshobby, wenn es nach ihm geht, er schaut aus, als hätte er sich geschlägert, aber er ist emotional gewachsen, um zehn Zentimeter mindestens. Es war vielleicht nicht nötig, dass ich so heimgeeilt bin, aber so hab ich viel erlebt und dass ich dann den letzten zwei Menschen, die mich um Kleingeld gefragt hatten, am Bahnhof in Frankfurt am Main, einfach mit dem Orsch ins Gesicht gefahren bin, zu ersten 'Nein' geschmettert, und zum zweiten 'ich kann nicht! geschrien, weil ich in Gedanken beim O war und mich in Sorgen gesuhlt hatte, tut mir unendlich leid, ich hätte ihnen Geld geben müssen und wollen, weil alle anderen, die von ihnen anschliessend gefragt wurden, dann auch ablehnten, bis auf einen jungen Mann mit Geigenkoffer, der den armen, schlecht riechenden Bettler, der mein 'Nein' abgekriegt hatte, dann zu einem Kiosk begleitet und ihm was zum Essen gekauft hat, ich merkte, wie sich das fortsetzt, wie eine Welle, gibt man nichts, ist man harsch und ungerecht, nehmen die Umstehenden das als Vorbild, sich ebenso zu verhalten. Und umgekehrt! Mir tun die paar Euro nicht weh, ich bin privilegiert, aber die Menschen haben nicht immer eine zweite Chance im Leben, man darf das nicht als selbstverständlich sehen. So bin ich froh, dass mein Sohnemann gestern total sauer war, als ich ihm davon erzählt habe, denn das zeigt, dass er, obwohl er auch manchmal zu großspurig ist, und wenig demütig, ein gutes Herz hat. Und wenn ich einen dazu erzogen habe, einmal kein Mitläufer zu werden, hab ich es richtig gemacht.

Dann jammert er zwar vielleicht, aber mit Bewusstsein. Jetzt muss ich los, es gibt noch viel mehr zu berichten, vielleicht heute Abend! Sende das umkorrigiert ab, keine Zeit mehr. Seht es mir nach, bitte.

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